Woran erkennt man einen wirklichen Meister?
Elegante Bewegungen, wie wir sie aus dem Tai-Che(i), Kung-Fu etc. kennen, stellen u.a. beachtliche Kraftdemonstrationen in diesen Bewegungskünsten dar, deren teils hohe artistische Leistungen allgemein schnell als „Meisterschaft“ bezeichnet werden. Solche Vorstellungen zeugen von großer langer Übung, gewaltiger Disziplin, manchmal aber auch nur von geschickt initiierten Show-Demonstrationen, die dem Laien optisch „Meisterliches“ vermitteln wollen, aber in Wirklichkeit meist nur hohe Artistik und damit optische Effekthascherei sind. Wir sollten daher zwischen dem Können perfekter physischer Demonstrationen und den Fähigkeiten „der Meisterschaft“ eines wirklichen „Vollendeten“ unterscheiden lernen!
„Wahre Meisterschaft“ bedingt daher hohes ethisches Denken und Handeln in allen Lebenslagen, ständiges ganzheitliches Wahrnehmen eines jeden Menschen, dem immer Respekt, Achtung und somit Harmonie entgegen gebracht werden soll. Aus solch einer Handlungsweise entsteht mit wachsender Reife tiefes Verständnis gegenüber allem Leben und der Natur. Ein stetiges an sich arbeiten, um im Fühlen und Denken den Charakter durch ständiges Bemühen zu „veredeln“, führt dann zu weisen und somit harmonischen, weitsichtigen Handlungen im täglichen Leben, die von der Weisheit eines wirklichen Vollendeten zeugen.
Auf diesem Wege der hohen ethischen Wahrnehmung und der Selbstbeherrschung der eigenen Sinne entwickelt sich im Laufe der Zeit ein großes Verständnis zu der inneren Kraft, die als Grundlage in allen Lebensformen wirkt – die Lebensenergie – die von den Vollendeten, den Erwachten, „CHE“ genannt wird.
Daher wird ein Solcher sich selbst wohl kaum als „Meister“ bezeichnen, denn er weiß, dass ein jeder Mensch immer nur „ein Schüler“, ein ewig Lernender ist, der lediglich auf verschiedenen Leistungsstufen gemäß seiner Entwicklung steht und voran schreitet.
Daher wird ein Solcher sich selbst wohl kaum als „Meister“ bezeichnen, denn er weiß, dass ein jeder Mensch immer nur „ein Schüler“, ein ewig Lernender ist, der lediglich auf verschiedenen Leistungsstufen gemäß seiner Entwicklung steht und voran schreitet.
Anfang des Jahrtausends hat eine öffentlich rechtliche Fernsehanstalt China besucht, um einen Filmbericht über die Wurzeln der alten Bewegungsformen zu produzieren.
Sie suchten an den Wurzeln in Shao-Lin und Wudang. Sie fanden viele Sportschulen vor, in denen ein erstaunlich hohes Niveau in den verschiedenen Bewegungskünsten vermittelt wird.
Völlig anders sah die Situation aus, als sie nach „Meistern“ dieser Künste fragten.
Trotz Führung einheimischer Lehrer war es nicht möglich – weder in Shao-Lin noch in Wudang – einen wirklich lebenden Großen der alten Künste zu finden, so dass der aus dieser Reise entstehende Bericht sich schwerpunktmäßig mehr mit den Bewegungsformen als den inneren Werte befassen musste.
Nur rd. fünf Jahre später tauchten plötzlich aus der Gegend von Shao-Lin und Wudang junge Sportkünstler auf, die sich als „Meister“ in verschiedenen Disziplinen bezeichneten.
Hier stellt sich die Frage, wie es sein kann, wenn fünf Jahre zuvor keine Meister als Lehrer vorhanden waren, plötzlich „neue Meister“ in nur wenigen Jahren entstanden sind, ohne das es die dafür notwendigen „großen Meisterlehrer“ für eine „Meisterausbildung“ gab?
Was scheint geschehen zu sein?
Wurde das von dem kommunistischen Regime 1960 geschlossene Shao-Lin-„Kloster“ 1980 nur wieder eröffnet, um den Sportgedanken der chinesischen Künste in die westliche Welt zu tragen? Sollte über diesen Weg das politische Ansehen des kommunistischen Systems erhoben werden, in der Hoffnung, dass die in China vorhandenen massiven Menschenrechtsverletzungen etc. dadurch hoffentlich in den Hintergrund treten?
Es scheint fast so, als wenn die doch recht plötzliche große Welle „junger Meister“ der sportlichen Bewegungskünste „kommunistisch verordnet“ wurden, um so dem Ansehen des Regimes, aufgrund seiner ursprünglichen großen Kultur, die das kommunistische System ja eigentlich nicht mehr wollte, zu fördern.
Verwirrender wird der Sachverhalt, wenn man berücksichtigt, dass es das Wort „Meister“ sowie „Meisterschaft“ im chinesischen Sprachgebrauch nicht gibt!
Betrachten wir die historischen Grundlagen, angefangen beim Taoismus, der den Begriff „Meisterschaft“ als „der Vollendete“ bezeichnet und der ihm nachfolgende Buddhismus diesen Reifegrad als „Erwachter“ benennt, stellt sich die Frage, was „Meisterschaft“ eigentlich ist?
Wird sie als Vollendung im Können bzw. Erwachen im Geistigen Wissen gesehen, sieht die asiatische Philosophie darin den Endzustand höchster menschlicher Entwicklung. Nach diesen Idealen wird dieser Zustand im menschlich inkarnierten Leben so selten erreicht und ist daher nur sehr vereinzelt anzufinden.
Daher sieht die Philosophie diesen Zustand nur als erreichbar an, wenn er nach dem physischen Leben ohne Last der niederen egoistischen Träger in der feinstofflichen Welt – des Himmels – erreicht wird. Wegen dieser Heiligkeit des Zustandes hat die chinesische Kultur in ihrer Sprache davon Abstand genommen, ein energetisch physisches Wort für „Meister“ und „Meisterschaft“ zu finden.
Wie zuvor erwähnt, sehen sich all jene, die den chinesischen Bewegungskünsten weit voran geschritten sind, als stetig Lernende, die Vollkommenheit des Ganzen anstreben.
Ist ein solcher Schüler weit voran geschritten und erhält er Verantwortung über die Ausbildung junger Schüler, wird er in China ganz pragmatisch „Lehrer“ genannt, was chinesisch „SHE“ heißt.
Wächst ein solcher Lehrer über viele Jahrzehnte in die Tiefen der taoistischen wie buddhistischen Gedankenwelt hinein und erreicht tiefe Erkenntnisse, wodurch seine Che-Kraft sich gewaltig entwickelt, wird er „Großer Lehrer“ genannt, was chinesisch „DA-SHE“ heißt.
Der Lehrer ist somit immer Lernender und so wundert es nicht, dass bei den ursprünglichen Bewegungskünsten ein Solcher sich am Schluss eines jeden Trainings bei seinen Schülern mit folgenden Worten bedankt:
„Ich danke, heute von euch lernen zu dürfen!“
Dieses philosophische Gedankengut haben im gewissen Grade auch die Japaner für ihre Kampfkünste – BUDO – übernommen. Sie bezeichnen in ihrer blumigen Sprache nur dann jemanden als Lehrer, wenn er Schüler betreut. Er wird dann als „Aktiver Weiser“ bezeichnet, was japanisch „SEN-SEI“ heißt und Lehrer bedeutet.
Ist er in den Tiefen als Lehrer weit vorangeschritten, wird er „DAI-SEN-SEI“ – Großer Lehrer – genannt!
Entgegen den Chinesen haben die Japaner in ihrer Sprache einen Begriff für Meisterschaft formuliert, der aufgrund seiner inhaltlichen Güte jedoch sehr selten benutzt wird. Aus den alten Traditionen ist uns dieser Begriff von der japanischen Version des alten chinesischen Brettspiels Wei-Che bekannt, das in der ganzen Welt unter seinem japanischen Namen GO (fünf) bekannt wurde.
Das bedeutendste Turnier des GO ist das Spiel um die Meisterschaft – MEIJIN!
Wie wir aus der philosophischen Tradition erkennen können, ist „Meister” bzw. “Meisterschaft“, aufgrund seiner inhaltlichen Tiefe und Größe, in der chinesischen Sprache direkt nicht vorhanden. Wäre es da nicht an der Zeit, die „Meisterschaftsbegriffe“, schon aus Respekt und Achtung gegenüber der chinesischen Tradition, durch die vorgenannten richtigen Definitionen zu ersetzen?
Ein erstes Verständnis von den Begriffen „Meister bzw. Meisterschaft“ können wir entwickeln, wenn wir uns mit den Grundenergien befassen, durch die Vollendung und Erwachen erst entstehen, das feinstoffliche „CHE“!
Durch das feinstoffliche „CHE“, das im ganzen Universum und somit auch direkt im Menschen wirkt, findet alles physische Leben überhaupt erst seinen Ausdruck. Kommt das CHE im Menschen immer mehr in Bewegung, wird das Leben des „ewigen Schülers“ immer kraftvoller durchströmt.
Zum Beispiel in Bewegungsübungen des Tai-Che(i), Kung-Fu etc. und in den asiatischen Tempeltänzen kommt das „höhere CHE“ zur Wirkung, wenn die beherrschte Atmung mit der Bewegung in Einklang ist. Dies geschieht, wenn wir in den Übungen beim Herangehen von Armen und Beinen an den Körper immer ruhig durch die Nase einatmen und beim Wegführen – wie auch bei Körperdrehungen – ruhig durch den Mund ausatmen, wodurch es direkt im Physischen wirkt.
Hierbei ist die Zungenoberfläche immer am oberen Gaumen zu legen, die Zungenspitze berührt dabei die Rückseite der vorderen Schneidezähne.
Wenn die Symmetrie von Atem- und konzentriertem Bewegungsfluss aus dem „Mittelpunkt“ – dem Hara – der 2 ½ cm unter dem Bauchnabel liegt, bewegt wird, stärkt es das CHE. Es kommt nur so in „Schwingung“ und somit in Bewegung.
Diese Übungsform allein ist gesundheitsfördernd, stabilisiert den Körper und wird oft als harmonisch bezeichnet, wenn sie elegant und ruhig mit zurückhaltenden Schultern ausgeführt wird und sie ausschließlich im vollkommen aktiven CHE-Fluss bewegt wird.
Dem gegenüber gibt es die meditative Atmung, bei der durch beide Nasenöffnungen gleichzeitig – also Vollatmung – die Atemenergie durch den Körper geleitet wird, die zur inneren Verbindung mit dem Herzen – chin. TE – führt. Diese Atmung wird grundsätzlich nur im aufrechten ruhigen Lotus-Sitz angewandt.
Jede Bewegungskunst kann durch Karma, Alter etc. eingeschränkt oder auch gar wieder verloren gehen. Daher bedingen die Ausführungen dieser Übungen in sich allein keine wahre Meisterschaft – die ja nur besteht, wenn sie nicht verloren gehen kann – sondern lediglich großartige Leistungen, wie wir an den Körperübungen z.B. der asiatischen Mönche sehen, die das (niedere) CHE in den physischen Körper leiten. Durch die Muskelspannung und Bewegungsdynamik entstehen viele (optisch) beeindruckende Demonstrationsübungen.
Wie inzwischen bekannt wurde, können diese hohen Leistungen – bei intensivem Training von ca. drei Jahren bei rund acht Stunden täglich – so gesehen zeitnah relativ schnell von jedem erlernt werden, der genug Ausdauer mitbringt. Somit handelt es sich bei diesen Kraftübungen vorwiegend um hohe physische Leistungen.
Wird darüber hinaus die CHE-Kraft sehr vertieft, bis sie sich eines Tages „zum Herzen erhebt“ – ist die Stufe der „Großen Lehrerschaft“ erreicht. Ein Solcher kann dann sein CHE bewusst und direkt steuern. Durch reine Atemdemonstrationen der CHE-Kraft belegt er sein Können. Dies geschieht in der bekannten „CHE-Übung“, in der mindestens drei Personen – die mindestens das Dreifache eines Großen Lehrers wiegen – versuchen, ihn wegzuschieben, was jedoch im Falle eines “Großen Lehrers” nicht gelingt, da er selbst auf freiem Boden – quasi wie ein Fels – die Kraftenergie der Schiebenden absorbiert.
Bleibt so der Übende „verwurzelt“ und „unverrückbar“ stehen, ist er das, was wir einen „Großen Lehrer“ nennen. Wird er von den schiebenden Personen bewegt, ist er ein Schüler!
Nur durch diese Demonstration der CHE-Kraft belegt ein “Großer Lehrer” sein Können. Es bedurfte daher früher und auch heute keiner Urkunde aus Papier – das bekanntlich geduldig ist – und nicht das vorgenannte Leistungsmerkmal wirklich belegt!
Über die CHE-Übung hinaus kann in den Bewegungsablauf des Tai-Che etc. nur ein Großer Lehrer den CHE-Fluss eines Übenden erkennen. Denn nur durch seine eigene Wissenserfahrung um das CHE, kann er das CHE eines anderen wahrnehmen. In dieser Erkenntnis ist der häufig zitierte Satz zu sehen:
„Nur ein Großer Lehrer kann einen (anderen) Großen Lehrer erkennen.“
Daher kann ein Schüler entsprechend seines Könnens auch nur einen anderen Schüler erkennen, da ihm die hohe Kenntnis der CHE-Energie zurzeit noch verschlossen ist.
Wahre Lehrerschaft drückt sich im Physischen demnach nur durch den Fluss der CHE-Energie aus!
Die Che-Kraft fördert der Veredlung des Charakters, die als Lebensweisheit und Weitsicht in allen Dingen die inneren Werte, die Reife eines solchen Großen offenbart, dessen einziges Streben ist, den Schüler in seiner inneren Entwicklung zu fördern, ihn den Weg zu seinem eigenen Herzen zu zeigen!
Dieses Zentrum – der Ort der inneren Weisheit – von dem die Wissenden sagen, dass sich in ihm die Lebensprinzipien der Schöpfung offenbaren, die zur wirklichen Vollendung führen, muss letztendlich ein jeder selbst durch eigene Erfahrung in sich finden.
Diese ganzheitliche innere Entwicklung ist eine sehr große persönliche Erfahrung, sie wird daher auch nicht lautstark nach außen getragen.
In sich selbst versunken, ist ein “Großer Lehrer”, der die wahre Meisterschaft anstrebt, stets im Äußeren wachsam, reagiert nur aus seinem Herzen heraus, ohne an Lohn oder persönliche Vorteile zu denken;
er ist in sich EINS, ist im Einklang mit dem Universum!
Während der normale Mensch im Kopf denkt und im Herzen fühlt, hat ein solch Großer das, was wir ein Paradoxum nennen, erreicht.
Durch seine Entwicklung denkt er klar im Herzen und fühlt bewusst im Kopf!
So ist dabei die „Meisterschaft“ seines Seins in innerer Harmonie anzustreben!
Man sollte einen solchen „Großen“ deshalb nicht fragen, ob er ein „Meister“ ist, sondern nach seinen inneren hohen Erkenntnissen, von denen wir ja alle viel lernen können.
Meisterschaft drückt sich im Ansatz dadurch aus, dass wir in Liebe und Demut besonnen und aktiv das (vor)leben, was ganzheitliche Ethik ist. Sie wird gelebt und nicht zerredet!
Daher wird ein jeder, der sehr weit innerlich voran geschritten ist, in Asien mit dem Ehrentitel „DA-SHE“ – Großer Lehrer – angesprochen; und wie das Wort schon sagt:”Wer lehrt, der lernt ständig!”