Erste Hinweise auf die alten ursprünglichen Bewegungsformen des TAI-CHE-GONG, dem „Ausdruck der Lebensenergie durch Arbeit/Üben“, finden wir in den alten Überlieferungen chinesischer Mönche. Sie besagen, dass das TAI-CHE-GONG aus Indien kommt. Die Grundlagen des TAI-CHE-GONG finden sich in den isometrischen Dehnübungen und Bewegungsformen der indischen Tempeltänzer, die zu Ehren verschiedener Götter in den Tempeln seit alters her tanzen.
Die isometrischen Dehnübungen sind allgemein auch als indische „Hatha-Gymnastik“ bekannt und werden heutzutage zu Unrecht dem Yoga zugeordnet, dessen einziger Inhalt die Versenkung im stillen, aufrechten Sitz ist und rein gar nichts mit Gymnastik zu tun hat.
Die „Hatha-Übungen“ an sich bringen als tiefe Gymnastik die Che-Energien im Körper zum Fließen. Die Tänzer bringen diese Energien durch ruhige, schnelle wie auch dynamische Bewegungen, teils mit akrobatischen Elementen, wie zum Beispiel beim Tempeltanz, Kung Fu etc., zum optischen Ausdruck.
Da es viele Legenden um die Entstehung des TAI-CHE-GONG, der alten Box-Kunst, gibt, wollen wir hier nur die Tatsachen nennen, die aus historischen Quellen bekannt sind.
Der chinesische Ausdruck „CHUEN“ bedeutet Box-Kunst. In ihr werden durch den Geist – KI – alle Körperteile kontrolliert, trainiert und in verschiedenen Stellungen ausgeführt. Hierbei aktivieren die Bewegungen durch Ausatmen wie Einatmen über Anspannung und Entspannung die Lebensenergie – CHE – die, richtig ausgeübt, gewaltige Energiepotenziale freisetzt.
Tierbewegungen, die der Revier- bzw. Futterverteidigung dienten, bildeten die Grundlage für die ersten Ansätze der menschlichen Selbstverteidigung der Box-Künste.
Die Box-Künste sollen bereits vor einigen Tausend Jahren unter der CHOON-CHEW-Dynastie entstanden sein. Der große Würdenträger KUAN CHUNG soll – als einer der Ersten – diese Kunst der Körperschulung dem Volk gelehrt haben.
In der HANG-Dynastie beobachtete der große Arzt HWA THOR die Tänze der Vögel und Landtiere. Ihre Bewegungen nutzte er für die menschliche Körperschulung. Die Tanzbewegungen halfen den Menschen, die Beweglichkeit zu fördern, Körper und Seele ins Gleichgewicht zu bringen und damit Krankheiten abzuschütteln.
In der LIANG-Dynastie (506-556 n.Chr.) kam der indische Mönch TA MO nach China in die Provinz Honan und hielt sich als Lehrer im Shao-Lin Tempel auf, um dort die Lehre Buddhas zu verkünden.
Die schwache Kondition – insbesondere die fehlende Konzentration – der Schüler veranlasste TA MO, auf Grundlage der ihm aus Indien bekannten gymnastischen Tempeltanz-Bewegungen, die dann nach ihm benannten 18 Mönchsübungen und 24 Muskelspiele zu entwickeln, die den Schülern zur körperlichen Belebung und Ertüchtigung verhalfen, wodurch die Konzentrationskraft erheblich gestärkt wurde.
Dies war der Anfang der Box-Kunst des Shao-Lin, die nach dem Tode von TA MO im Laufe der Zeit fast in Vergessenheit geriet.
Ein erneuter Anfang des Shao-Lin-Boxens begann rd. 800 Jahre später unter der YUAN-Dynastie (1260-1368 n.Chr.) als der berühmte Meisterboxer YEN die Priesterweihe unter dem Namen CHUEH YUAN in Shao-Lin annahm. Er verfeinerte die alten Übungen von TA MO auf insgesamt 72 Stellungen, die sich schnell in ganz China verbreiteten. YUAN wollte die bisherigen Ergebnisse weiter verbessern und suchte nach anderen Könnern in der Box-Kunst. Er traf dabei auf einen alten Mann, der gerade von einem riesenhaften Kerl angegriffen wurde. Der Alte wich geschickt aus, berührte mit zwei Fingern den Angreifer, der darauf hin bewusstlos zu Boden fiel.
YUAN machte sich sofort mit diesem großen Meister der Box-Kunst – Herrn LI – bekannt. Dieser erklärte bescheiden, sein Können selbst sei gering, ein wahrhaft großer Meister soll in Shan-Si wohnen, der als unerreichter Boxer berühmt sei. LI führte YUAN mit dem 50 jährigen PAI YU FENG zusammen.
Die drei Männer waren sich über das Vorhaben, die alten Shao-Lin-Übungen zu erweitern, schnell einig. Sie begannen gemeinsam im Shao-Lin Tempel die Grundlage des heutigen Shao-Lin Tempel-Boxens zu entwickeln, in dem sie die 18 Mönchsübungen und die 24 Muskelspiele mit den 72 Übungen von YUAN in einen Ablauf brachten, die bewegungsphysiologisch – äußerlich wie auch energieaktivierend innerlich – optimale Ergebnisse schafften.
PAI YU FENG verbesserte das erreichte Niveau des Tempel-Boxens, in dem er fünf Tierstile hinzufügte und damit die Anzahl der Übungen auf 181 erhöhte. FENG betonte immer wieder, dass die ganze Vielfalt der Box-Kunst in den Figuren der von ihm entwickelten fünf Tierstile enthalten sind, die zudem den fünf Elementen des Menschen entsprechen: Geist, Atem, Kraft, Knochen und Sehnen.
Alle diese Bewegungsformen von Shao-Lin haben eines gemeinsam:
In kürzester Zeit entwickeln sich erstaunlich positive energetische Veränderungen, die sich allesamt gesundheitsfördernd auf Körper, Geist und Seele auswirken.
Diese ursprünglich alten, kraftvollen Übungsformen werden seit dem das „Alte Shao-Lin Tempel-Boxen“ oder auch „Chinesisches Schattenboxen“ genannt.
Aus der Urform des TAI-CHE-GONG entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte verschiedene neue Stile und Varianten. Sie alle bauen aber nicht mehr auf den alten Shao-Lin-Grundlagen auf.
So wird in diesen Stilen nur in seltenen Fällen die so wichtige Harmonisierung der konzentrierten Pflege – und Abstimmung von Atem, Bewegung und Che-Fluss geübt. Oft werden diese Faktoren als sehr wichtig erwähnt, jedoch nicht konsequent in die Bewegungsabläufe integriert. Gerade diese Abstimmung jedoch bildet die besondere Kraftentwicklung im ursprünglichen TAI-CHE-GONG.
Die Trennung von Tai-Che(i) und Che(i) Gong
In der Vergangenheit wurde diese ursprünglich ganzheitliche Übungsform des TAI-CHE-GONG in einzelne Systeme unterteilt und in späterer Zeit sogar als getrennte Disziplinen angesehen.
So wurden die speziellen medizinischen Übungen separiert, die seit dem als Che (I) Gong gelehrt werden.
Aus den übrig gebliebenen “atemintensiven” und körperlichen Bewegungsaspekten (mit der Berücksichtigung des Meditativen) wurden die ursprünglichen Tierbewegungen im Laufe der Zeit in vier Bereiche eingeteilt, dem Drücken, Stoßen, Drehen und Ziehen und der Abwehr. Diese bildeten seitdem die Grundlage der künftigen asiatischen Sportkünste und werden daher allgemein als „Tai Chi(e) – CHUAN“ bezeichnet. CHUAN bedeutet Box-Kunst.
Aus den ursprünglichen Tierstilen des Shao-Lin, die der Ganzheitlichkeit der Che- und Kraftentwicklung dienten, wurde durch wesentliche Reduzierung der ursprünglichen Bewegungselemente, in dem das Stoßen und Treten, Ausweichen und Schlagen Vorrang bekam, die verschiedenen Stile der Box-Kunst (CHUAN) entwickelt.
Die Anfänge dieser Box-Kunst finden sich späteren Shao-Lin-Kloster und den Wudang-Klöstern wieder. Aus den alten Shao-Lin-Wurzeln entstanden so die Grundlagen der verschiedenen Box-Künste und ihrer Stile, die wir heute unter dem allgemeinen Begriff Tai-Chi-Chuan kennen.
Wie das ursprüngliche TAI-CHE-GONG überlebte
Anfang des 20. Jahrhunderts bekam Herr CHUNG CHEOK TOW aus Singapur die seltene Gelegenheit, das „Klosterboxen“ in jungen Jahren von einem berühmten “Meister” zu erlernen, dessen Familie seit vielen Generationen die Original-Lehre der Shao-Lin-Übungen als Geheimwissen bis zu diesem Zeitpunkt nur innerhalb der Familie weiter gab. In dieser Zeit lebte im Shao-Lin-Tempel noch unverfälscht die Jahrhunderte alte Tradition der buddhistischen Lehren und des chinesischen Schattenboxens.
Herr CHUNG lernte so die ursprüngliche Form des TAI-CHE-GONG kennen, das er ein Leben lang jeden Tag trainierte, „um Gesundheit zu erlangen und ein guter Boxer zu werden“, wie er sagte.
Durch die „Kulturrevolution Maos“ Mitte des 20. Jahrhunderts in China, wurde das kulturelle Erbe des Landes gegen Androhung von hohen Strafen verboten und quasi ausgelöscht. Den Verboten unterlag auch das Shao-Lin-Wissen, was dadurch verloren gegangen ist.
Von den heute in Deutschland lebenden jungen Shao-Lin-Mönchen wissen wir, dass sie in ihren eigenen Sportschulen nicht das ursprüngliche TAI-CHE-GONG lehren. Sie üben heute die sogenannte völlig veränderte „Peking-Form“ Maos, die im Rahmen der „Kulturrevolution“ vollkommen neu konzipiert wurde. Ihre veränderten Bewegungselemente, wie auch die fehlenden verschiedenen Schwierigkeitsgrade bei gleichbleibenden Übungen und die fehlende Atempflege, entsprechen nicht mehr den Grundlagen der alten Shao-Lin-Kunst.
Daraus können wir erkennen, dass selbst im Kloster von Shao-Lin die Urform des TAI-CHE-GONG, das alte Shao-Lin-Schattenboxen, wohl heute nicht mehr bekannt ist und ein Opfer der westlich orientierten „Kulturrevolution Maos“ wurde.
Diese Gründe führten dazu, dass sich Herr CHUNG im Alter von 70 Jahren 1971entschloss, seine großen über 50 Jahre langen eigenen Erfahrungen über das chinesische Schattenboxen zu veröffentlichen.
Auf dieser Grundlage wählte er weitsichtig aus den ursprünglichen fünf Stilen von Meister FENG aus der YUAN-Dynastie jeweils sieben Übungen aus, von denen er der Überzeugung war, dass sie die Kraftentfaltung des CHE – der Lebensenergie – direkt und am effektivsten im Menschen freisetzen.
Diese wohlüberlegten ausgewählten Übungen beinhalten sämtliche Grundlagen der Bewegungskunst, durch die sich der gesamte Budo-Sport mit seinen verschiedenen Stilen ausdrückt.
Dies erkannten auch erfahrene Kampf- und Bewegungskunstexperten in den 1980-iger Jahren in Deutschland in diesem Material. Das von Chung Cheok Tow überlieferte Werk über das chinesische Schattenboxen wurde von diesen Experten aufgrund ihrer eigenen viele Jahrzehnte langen Erfahrungen und nach den Erkenntnissen der Bewegungsphysiologie im Original erhalten und geringfügig in den Stellungen und Bewegungen optimiert.
So wurden die einzelnen Abläufe beidseitig nach dem Yin- und Yang-Prinzip harmonisch ausgelegt. Diese beiden Teile des Kreises ergeben in ihrer Gesamtheit das „Tai-Che“, das in der westlichen Welt als „Yin-und Yang-Symbol“ bekannt ist.